Der Tod von Grischa – so nannten ihn seine Freunde – hat nicht nur mich tief getroffen. Er war noch keine 60 Jahre alt. Vladimir Bures wurde am 22.2.1952 in Brno (Brünn) geboren, das Medizinstudium schloss er 1977 in Prag ab, auch den Großteil seiner radiologischen und kinderradiologischen Ausbildung absolvierte er in Prag. Aus erster Ehe stammen eine Tochter (1977) und ein Sohn (1980).
Einen Neuanfang in Deutschland (oder besser außerhalb der Tschechoslowakei deren Existenz gerade zu dieser Zeit zu Ende ging) startete er vor etwa 20 Jahren in Hamburg. Ich habe seine „Deutschland-Karriere“ von Anfang an mitverfolgt – sie begann etwa zur gleichen Zeit wie die Gründung der selbständigen „Abteilung für bildgebende Diagnostik“ am Kinderkrankenhaus Wilhelmstift.
Im März 1990 startete diese mit zwei Ärzten und einer 24-Stunden Dienst-Besetzung durch sechs MTRA’s zumeist in Teilzeitbeschäftigung zur ambulanten und stationären Versorgung der kleinen Patienten am Kinderkrankenhaus Wilhelmstift. Anfang 1992 begann Dr. Bures seine Tätigkeit in dieser Abteilung. Eigentlich war diese Stelle für den späteren Oberarzt
Joachim Stegmann vorgesehen. Dieser war aber noch in radiologischer Ausbildung. Für die Zwischenzeit musste die ärztliche Stelle besetzt werden. Es war nicht einfach – das werden mir Kolleginnen und Kollegen, die sich schon mal in solch einer Situation befanden, bestätigen – eine subalterne Arztstelle mit einem qualifizierten Kollegen zu besetzten. Prof. Tröger, Leiter der Kinderradiologischen Abteilung der Universitätsklinik Heidelberg, empfahl und vermittelte einen in Brünn und Prag ausgebildeten Radiologen mit Teilgebiet Kinderradiologie, der in Deutschland eine Stelle suchte.
Schon beim ersten Kennenlernen waren wir uns sympathisch. Eine ähnliche Statur und die gleichen „großösterreichischen Wurzeln“ haben da sicher eine Rolle gespielt. Den Weg durch die Hamburger Behörden, besonders die Bedeutung der Gesundheitsbehörde kannte ich aus eigener Erfahrung (geboren in Österreich, damals noch nicht EU) – zumindest glaubte ich das. Es gelang für Grischa die Ausnahme-Berechtigung der Gesundheitsbehörde Hamburg zu erhalten (§ 10 des Ärztegesetzes): Für eine begrenzte Zeit und mit jährlicher Prüfung einer Verlängerung. Also konnte Dr. Vladimir Buresˇ vorerst eingestellt werden. Er hat sich schnell eingearbeitet, schaffte die Routinearbeit problemlos, hatte blendenden Umgang mit den Kindern und war bei allen Erwachsenen beliebt. Einige Monate später – manchmal ist es gut, wenn die Mühlen der Behörden langsam mahlen – meldete sich die Ausländerbehörde Hamburg. Man erhob Einspruch gegen die Beschäftigung von Dr. Bures.
Warum es dazu kam, wurde nie wirklich geklärt: Bestand vielleicht ein Zusammenhang mit dem etwa ein Jahr später aufgedeckten Skandal in der Ausländerbehörde. Es ging damals um Bestechungsgelder. Hatten wir vielleicht da etwas „vergessen“?! Hamburg war und ist eine weltoffene Stadt – was hatte sich plötzlich an der Einstellung der Behörden geändert?
Für den Moment mussten wir eine Lösung für Grischa finden – er war inzwischen nach Hamburg übersiedelt. Irgendwie hatte ich von Wuppertal und einem Prof. Cramer gehört, der häufig einen Kollegen/eine Kollegin für die kinderradiologische Stelle suchte. Seit dem Ausscheiden von Anita Förster war die Stelle immer wieder vakant gewesen. Zuletzt war hier Krystyna Raschke-Oleszczuk „gescheitert“. Der radiologische Chef Prof. Cramer als Miteigentümer der Warsteiner Brauerei hatte in vielen Richtungen gute Beziehungen, und so gelang es erst einmal eine Anstellung für Grischa zu finden. In den weiteren Jahren war die Arbeit für Grischa nicht immer einfach, aber er hat es doch zu einer akzeptablen Selbständigkeit gebracht. Von seinen Problemen hat er Vieles erzählt, aber wohl auch Vieles – bewusst – nicht erzählt, denn er „musste sich ja anpassen“. Bei der ambulanten Betreuung hat er sich viel Respekt und Anerkennung bei den niedergelassenen Pädiatern in Wuppertal und Umgebung erarbeitet, so dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit bestand.
Durch Überweisung der kleinen Patienten mit Muskelkrankheiten durch Professor Mortier gewann er Erfahrungen bei der Untersuchung der Skelettmuskulatur bei lokalen und systemischen Erkrankungen des Muskel- und Nervensystems. Diese Kenntnisse konnte er zum Beispiel bei Ultraschallkursen vermitteln (Pädiatrische Sonographie Hamburg). Die Erlangung der Ausbilder-Lizenz für pädiatrischen Ultraschall scheiterte damals an noch bestehenden sprachlichen Unzulänglichkeiten.
Er hat sich seinen Vorgesetzten gegenüber immer loyal und ruhig verhalten, aber nie „gebuckelt“. Das zu schaffen war nicht immer einfach. Umso mehr ist es hervorzuheben, dass er denen, die bei ihm gelernt haben, immer ein geduldiger Lehrer war, der so lange wiederholte bis er annehmen konnte, dass seine „message“ angekommen ist. So erzählt Dr. Manfred Schiborr, heute Oberarzt in Münster: „Ich war sehr froh, dass Dr. Bures kam. Er hat mir sehr viel beigebracht. Ich konnte mich ein bisschen revanchieren, da ich ihm bei seinen anfänglichen sprachlichen Problemen – z. B. beim Formulieren der Befunde – helfen konnte. Über die direkte berufliche Zusammenarbeit hinaus hatte sich zwischen uns eine gute Freundschaft entwickelt, die auch nach meiner Rotation in die Radiologie und nach Verlassen von Wuppertal anhielt.“
In seinem Privatleben gab es mit seiner temperamentvollen tschechischen Partnerin Sonia „meine Kinder, deine Kinder und unsere Kinder“: seine Kinder waren in der Tschechien geblieben, zu ihrem Kind Lucas hatte er eine ausgesprochen liebevolle Beziehung und schließlich natürlich auch zur gemeinsamen Tochter Katharina. Die Arbeitsüberlastung hatte wohl dazu geführt, dass die Partnerschaft stark belastet wurde. Man trennte sich und Grischa wollte wohl mit einer neuen Partnerin an einem neuen Ort (Basel) neu anfangen. Viele seiner Freunde konnten das nicht ganz verstehen und tatsächlich: das Ganze stand wohl unter keinem guten Stern.
Er war ein stiller guter Arbeiter, der sein Fachgebiet, die Kinderradiologe überblickt hat. Er hat trotz oder vielleicht wegen der guten Basiskenntnisse in der Radiologie erkannt, dass die Etablierung der Sonographie als wichtigstes bildgebendes Verfahren in der Pädiatrie für seine Laufbahn entscheidend war. Diese Laufbahn war ähnlich stürmisch, wie die Entwicklung der Kinderradiologie in Deutschland zu dieser Zeit. Der nach außen sehr ruhig wirkende Mensch Grischa, der natürlich auch seine persönlichen Probleme hatte und der bei Volleyball, Rad- und Skifahren seinen Ausgleich fand, hatte auch noch ein Hobby, oder vielleicht doch eher ein Laster: er trank gerne Whiskey – und so werde ich denn wohl noch das eine oder andere Glas auf sein Wohl im Jenseits trinken müssen.
Für die Unterstützung möchte ich mich bedanken bei:
Dr. Manfred Schiborr, Oberarzt am Institut für Klinische Radiologie der UK Münster und Sonia Buresova, Bad Reichenhall.
Dr. med. Hubert Hayek, Berlin